Schlemmen wie die Feuersteins! Paleo-Diät im Test

Schlemmen wie die Feuersteins! Paleo-Diät im Test

Da liegt er vor mir. So frisch und weich. Ich kenne ihn ganz genau. Jede Nuance. Seinen Geschmack, der leicht salzig und mild ist. Ziegenkäse, mein heiliger “Auflage-und-nebenbei-esse-Gral”. Ganz langsam lasse ich ihn auf der Zunge zergehen, ich liebe seine cremige Konsistenz. Ein echter Genuss. Und dem folgt ganz schnell bitterer Verdruss. Denn das alles war nur ein Tagtraum.

Vor mir die Hölle

Die Realität: Da liegt er vor mir, zum Greifen nahe. Doch die Hand meines Mannes schnellt zu ihm rüber, legt sich meinen innig geliebten Ziegenkäse auf’s Brot und führt sich die Stulle zum genüsslich grinsenden Mund. Und ich leide, winde mich innerlich vor Zerrissenheit, spüre wie jede Faser meines Körpers aufbegehrt. Ich muss mich selbst bezwingen, mit meinem Schweinehund ringen. Und das 30 Tage lang. Immer wieder aufs Neue.

Einen Monat, eine Ewigkeit. Denn mein Lieblingskäse ist nun mein Laster. Weil ich mich bereit erklärt habe, die “Paleo”-Diät zu machen – genau genommen die “30 Tage Challenge”. Vier Kilo Speck sollen weg – der darf dafür jetzt in der Pfanne brutzeln. “Paleo” bedeutet nämlich Steinzeiternährung, so wie unsere Vorfahren wie vor Millionen von Jahren. Vereinfacht: Verzicht hier, Verzicht da. Keine Milchprodukte, kaum Kohlenhydrate, keine künstlichen Zusätze im Essen. Dafür viel Gemüse, Obst, Eier, Fisch, Fleisch, Nüsse, Öle.

“Oh, Gott, ich bin so neidisch”, winsele ich meinen Mann an und stochere im Rührei rum, das ich übrigens schon nach dem ersten Bissen abgrundtief hasse. Tolle Einstellung. Und so ein Geblärre in den ersten 20 Minuten meines Selbstversuchs. Wie soll man da 720 Stunden aushalten? Das ist doch zum Scheitern verurteilt! Vielleicht sollte man auch einfach von Tag zu Tag denken und nicht in einer Dimension von einem Monat, einem Zwölftes eines Jahres!

Die Kantine als Hürde

Mittags in der Kantine stehe ich vor der Essensausgabe – und damit vor einem schier unüberwindbaren Problem. Milch, Joghurt, Sahne oder Käse ist irgendwie überall drin oder drauf. Nudeln, Kartoffeln, Reis, Mais, Kidneybohnen, Brötchen – Tschüssikowski! Hallöchen Salatbar, ich werde mich nun täglich an dir laben. Doch auch hier ist nicht nur pures, reines Gemüse vertreten, sondern viele angemischte Salate mit Sößchen. Am Ende landen Gurken, Rucola, Pilze, Ei, Karrotten, Tomaten und Thunfisch auf dem Teller – mit etwas Olivenöl. Abends gibt’s eine Gemüsepfanne mit vielen Kräutern vom Balkon.

Ich durchforste “Paleo”-Seiten, suche nach Frühstücksideen, weil das morgendliche Mahl langsam zur morgendlichen Qual mutiert. Seit Tagen landet Ei in allen Variationen auf dem Teller: gekocht, gerührt, geschüttelt. Ei, zwischen uns wird es kompliziert. Ich habe dich satt!

Meine Rettung sind schließlich “Paleo”-Pancakes. Das Rezept dazu wurde mir von einer Kollegin per Mail zugespielt. Ausprobiert und für super-yummy befunden – vor allem, wenn man einfach mal etwas Süßes braucht.

Makrele am Morgen? Ähm, ja!

Und ich esse Fisch zum Frühstück. Zum Beispiel Makrele. Eine Kollegin runzelt die Stirn und sagt: “Ich bin ja vieles gewohnt, aber das?!” Ja, genauso ergeht es mir ja auch. Das, was ich hier tue, bin ich nicht gewohnt. In der Not frisst der Teufel eben Fliegen, die übrigens total “Paleo” sind (Nein, soweit gehe ich nicht, Scherz beiseite). Und noch etwas: Ich lese immer wieder, dass nach einer Woche das Verlangen nach “Verbotenem” verflogen sein soll. An jedem folgenden Morgen wache ich also auf und frage: Hallo, Jieper, bist du noch da?

Und dann, nach neun Tagen, muss ich mehrfach nachhorchen. Höre irgendwo in der Ferne schließlich ein dünnes, kraftloses Nuscheln. Kaum vernehmbar und gut auszublenden. Der Fairness halber muss ich aber gestehen: Das Weglassen von Kohlenhydraten ist sehr einfach für mich, baue ich schon länger in den Essensplan ein. Mal mehr, mal weniger konsequent – aber eigentlich kein Problem, darauf zu verzichten. Für einen “Standard”-Esser ist “Paleo” jedoch ein ganz schön hartes Food-Bootcamp.

Dennoch merke ich, dass es mir besser geht, wenn ich Käse und Co. nicht zu mir nehme. Der obligatorische Fünf-Monats-Bauch nach dem Essen bleibt flach wie ‘ne Flunder. Und auch die Magenschmerzen, die ich ab und an mal habe, scheinen ausgemerzt.

Flammkuchen oder Pizza?

“Paleo” ist eigentlich eine großartige Sache, wenn ich Milchprodukte nicht so lieben würde und sie meinen Speiseplan so dominieren würden. Aber ich bin bereit, sie in Zukunft einzuschränken.

Und dann passiert er doch: der Ausrutscher, der so nicht vorgesehen war! An einem Abend bin ich beruflich unterwegs, es gibt ein Fünf-Gänge-Dinner, das aus fünf Klecksen besteht (die aber tatsächlich Paleo sind!). Ich habe nur gefrühstückt. Hungrig im Hotel angekommen, frage ich nach, was man denn noch ordern könnte. Die Aussage: Flammkuchen oder Pizza. Pest oder Cholera.

Nach dem Flammkuchen fühle ich mich wie ein Versager. So elendig schlecht. Gut, es ist passiert. Zurückspulen geht nicht, ein Wurmloch konnte ich leider auch nicht auftun. Mein Magen knurrte außerdem so ohrendbetäubend laut, er hätte sich selbst verdaut. Und um 1 Uhr nachts noch irgendwo Salat finden? Vielleicht auf einem Feld außerhalb der Stadt, aber wohl kaum in meiner Nähe… Krönchen richten, weiter geht’s!

Mrs. Extrawurst wider Willen

Am schlimmsten gestalten sich abendliche Unternehmungen. Oder weniger verquer ausgedrückt: Essen gehen, Cocktails trinken, lustige TV-Mädelsabende. Ich fühle mich dabei immer wie “Frau Sonderbar” oder “Mrs. Extrawurst”. Wie die, die für genervtes Augenverdrehen sorgt. Die, die so anstrengend ist. Obwohl ich das ja eigentlich nicht bin. Weil ich alles esse. Außer Lakritz, Rosenkohl, Rosinen und Innereien, aber das nur nebenbei.

Wenn man sich nicht sozial ausgrenzen will, dann muss man eben hinnehmen, die Komplizierte zu sein. Da kann man zum klebrig-süßen Cocktail leider nicht in die Chipstüte greifen. Sondern beim Wasser zum Gemüsestick. Oder auch “Paleo”-Jerky. Kurz: Trockenfleisch, aber komplett frei von Zusätzen.

Zum Einstand meiner neuen Chefin habe ich übrigens auch die Pappnase auf. Wir sind zu diesem Anlass bei einer Weinverkostung. Alkohol ist auch nicht “Paleo”, gehört aber laut mancher Internetseiten in den Graubereich. Wenn man unbedingt Wein trinken will, dann solle man auf trockene Kandidaten zurückgreifen. Gut so, denn eine Liebliche bin ich überhaupt nicht. Aber ganz, gaaanz streng genommen, ist es eben nicht erlaubt. Doch was erblicken meine Augen da auf dem gedeckten Tisch? Käse! Und Brot! Für mich der Tod!

Fällt mein Abendbrot damit aus? Ich frage schnell nach. Wurst soll es also auch geben. Leberwurst! Und worauf soll ich die essen? Also winke ich den Kellner noch einmal ran. Schäme mich, entschuldige mich. Schließlich werden dann Schinken- und Mettwurst-Platten serviert, die von den Lokalberteibern extra noch im Supermarkt nebenan geshoppt werden. Ich genieße die Wurst pur. Oder auf Cherrytomate. Die liegen nämlich dazwischen. Und die werden mir auch beharrlich von allen Kollegenseiten zugeschachert. “Die Tomaten sind für Irene”, tönt es von irgendwo her. Ich werde sogar gefragt: “Darf ich eine Tomate haben?”. Ich muss lachen.

Fazit nach 30 Tagen in der Steinzeit

Das Lachen fällt mir mit der Zeit übrigens tatsächlich immer leichter. Ich bin keinesfalls so zerknirscht wie an Tag eins in der Steinzeit. Würde nicht mehr töten für ein Stück Käse. Oder Kuchen. Ich kann sogar welchen backen, ohne ihn zu probieren. Kaum zu glauben, aber wirklich wahr. So geschehen zum Geburtstag eines Freundes, wo ich zum Grillen eingeladen war. Quasi ein Heimspiel für mich. Es gab Steak. Mit viel “Ohne”: Ohne Kartoffelsalat. Ohne Soße. Ohne Baguette. Dafür Krautsalat.

Abschließendes Fazit: Ich verzehre mich nicht mehr so sehr nach all dem, was ich nicht haben kann/darf. Zum Ende meiner Diät weiß ich aber, dass ich dennoch eines nicht vergessen werde: den Geschmack all dieser Dinge. Den kann man nämlich nicht aus dem Gehirn eliminieren. Deswegen werde ich in Maßen genießen und nicht mehr in Massen. Denn ich weiß auch, woher mein gelegentlicher Bauchschmerz kommen kann. Und der Blähbauch. Nebenbei habe ich übrigens auch abgenommen. Zwei Kilos haben sich verdünnisiert. Ganz ohne Sport. Immerhin.

Erschienen im Mai 2015 auf Gala.de



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